Heute schaue ich besser hin


Nach dem meine Mutter mich darauf aufmerksam gemacht hat, über den Bericht von Samu in der Migroszeitung, bin ich direkt auf Eure Homepage und ich habe mich sehr darüber gefreut. Einfach auch, weil es endlich eine Anlaufstelle gibt um Erfahrungen austauschen zu können, denn nicht wirklich viele Menschen und Fachpersonen über Kreisrunden Haarausfall Bescheid wissen. Ich bin keine Betroffene, aber eine Angehörige. Ich möchte Euch meine Geschichte erzählen, eine sehr persönliche. Vielleicht kann ich so Hoffnung schenken.


Ich lernte meinen Mann, Roger (beide Namen werden Englisch ausgesprochen), bei der Arbeit kennen. Damals, war ich noch in einer anderen Beziehung und überhaupt nicht nach einer Neuen aus. Doch später dazu mehr. Wir wurden einander vorgestellt, wie auch den anderen Mitarbeitern. Das Männer, auch junge Männer früh Glatze tragen, wusste ich. Ich bemerkte aber auch das er keine Augenbrauen hatte und beim zweiten Mal hinschauen auch keine Wimpern. Ich weiss auch nicht wieso es mich nie gestört hat, warum auch. Da sein Arbeitskollege, auch ein Koch, kurz bevor ich anfing ausfiel und wir nur zu zweit waren, lernten wir uns sehr schnell kennen. Und damit meine ich vom Karakter her. Es funktionierte auf anhieb. Wir arbeiteten Hand in Hand. Einen ganzen Monat ging das so. Wir machten beide unsere Arbeit im Team. Er als Koch, ich als Gastgeberin. Das gefiel mir sehr, dass es so gut funktionierte. Denn das ist nicht immer so im Gastgewerbe. 


Nach strengen Tagen, tranken wir manchmal ein Glas Wein zusammen. Und eines abends fragte ich Ihn wieso er denn keine Kopfhaare, Augenbrauen und Wimpern habe. Ich war sehr neugierig, es interessierte mich.. Seine Antwort kam ganz natürlich. Kreisrunder Haarausfall. Unzählige Untersuchungen hatte er sich in Kindertagen über sich ergehen lassen, jedoch ohne Resultate. Die Ärzte, sie waren alle ratlos. Seine Reaktion zeigte mir, dass es für ihn das natürlichste auf der Welt war und dass er ein gesundes Selbstvertrauen hatte. Das machte es für mich noch leichter, ihn als meinesgleichen zu betrachten. Wieso sollte er anders sein als Andere? 


Irgendwann verliebte ich mich in Ihn. In einen ganz normalen Menschen, mit ganz normalen Bedürfnissen. Meine alte Beziehung war schon seit längerem nicht mehr das was es war oder ich gewünscht hätte. Es war keine einfache Zeit. Aber Roger ist immer zu mir gestanden. Ich könnte Euch noch viel mehr erzählen, aber darum geht es hier nicht.

 

Dennoch muss ich an dieser Stelle ein wenig dazu erwähnen: Unsere Anfangszeit war sehr harzig. Zusammen, wieder nicht. Dabei spielte aber vor allem seine Person eine grosse Rolle. Er, ein Deutscher, etwas trocken, anderer Humor und trotzdem fühlte ich mich zu ihm angezogen. Ich machte mir von Anfang an viele Gedanken über unsere mögliche Zukunft. Was eigentlich ganz normal ist. Als Frau checkt man die Lage ab und zwar in allen Bereichen. Was wenn unsere möglichen Kinder die Krankheit erben? Und falls es so wäre, wie würden sie und ich damit umgehen? Würden sie in der Schule gehänselt? Das tat mir damals schon im Herzen weh. Roger verlor mit 6 Jahren seine Haare am ganzen Körper. Er sagt, er sei nie in der Schule gehänselt worden. Er hatte ein gutes Umfeld und Freunde. Das gab mir viel Mut. Unsere Kinder würden dieses starke Selbstbewusstsein erben, hoffe ich.

 

Also entschied ich mich für uns, unsere Beziehung. Ich wurde schwanger. Meine Frauenärztin konnte mir keinen Spezialisten empfehlen. Niemand konnte es uns sagen ob die Krankheit auf unser ungeborenes Kind übertragen würde und wieso. Vor allem ich wollte Gewissheit. Ich wollte mich darauf vorbereiten können. Auf gute Worte, die ich meinem Kind mitgeben könnte. Es ist schon komisch, bei Roger hat es mich nie gestört, bei unserem ungeborenem Kind machte ich mir jedoch sorgen. Mittlerweile sind wir zu einer kleinen Familie herangewachsen. Unser Sohn Nathan, ist ein «gweriger» kleiner Junge. Und, er hat Haare auf dem Kopf. Und sie wachsen. 

 

An die komischen Blicke meinem Mann gegenüber, habe ich mich schon lange gewöhnt. Und ob Nathan auch an Kreisrundem Haarausfall erkranken wird, wird sich zeigen. Ich bin glücklich, wir sind glücklich diesen Schritt gemacht zu haben. Ich habe Roger und Nathan sehr lieb, egal was noch kommen mag. Eine Ungewissheit bleibt.

 

Die Hoffnung auf Partnerschaft und Familie besteht sehr wohl. Ich glaube sogar, so den passenden Menschen in meinem Leben gefunden zu haben. Ohne ausserliche Täuschung (das hört sich vielleicht gerade etwas komisch an). Die inneren Werte zählen. Heute schaue ich besser hin.

 

Wir wünschen allen Beteiligten ganz viel Mut, Kraft, Freude und Halt der heutigen Gesellschaft.

 

Herzlichst,

Nicole und Roger mit Nathan